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Leben und Arbeiten in der Türkei

Die verschiedenen Phasen eines Auswanderers in der Türkei

Viele Türken aus Deutschland überlegen in die Türkei auszuwandern, 2007-2011 sind über 191.000 hierher gekommen. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen, da sich die meisten in Deutschland nicht offiziell abmelden. Wenn ich mit vielen Auswanderern zusammenkomme, in Foren, Social Media oder Nachrichten lese, dann spüre ich insgesamt eine positive Stimmung bei den Auswanderern bzw. Rückkehrern.

Zuerst Frust

Wenn man die ersten Tage und Wochen hier ist, die Aufregung sich gelegt hat, kommt die Ernüchterung. Vieles ist anders, die Erwartungen waren zu hoch angesetzt und man ist erst einmal enttäuscht. Sicherlich gibt es Ausnahmen, aber die Mehrheit macht das leider durch. Die „echten“ Türken sind ganz anders, als die Türken aus Deutschland. Auch wenn man das irgendwie wusste vom hören-sagen, ist es doch ein kleiner Kulturschock. Vor allem wenn es um berufliche Themen geht, vermisst man sehr die Zuverlässigkeit aus Deutschland.

Zu den ersten Schritten die Menschen in der Fremde tun, sind Gleichgesinnte zu suchen. Diese Erfahrung habe ich als ERASMUS-Student schon in Irland gesammelt, Deutsche, Italiener, Spanier usw. haben sich erst mal untereinander angefreundet. Die Deutsch-Türken haben inzwischen ein starkes Netzwerk in Istanbul entwickelt. Auch wenn nicht alle Auswanderer teilnehmen, ist die Gemeinschaft recht breit aufgestellt. Wenn man das erste Mal Gleichgesinnte trifft und hört, dass alle die gleichen Erfahrungen gesammelt haben, ist man erleichtert. Es liegt nicht an einem selber, sondern an der Situation selbst. Und man lernt, dass es eine Phase ist, die vorübergehen kann, wenn man stark ist, die Zähne zusammenbeißt und Geduld besitzt.

Ein Job – Der große Schritt zum Traum

Mit den ersten neuen Freunden steigt wieder die Hoffnung, dass man doch den richtigen Schritt getan hat. Man lernt die neue Umgebung besser kennen, erhält Tipps zu allen möglichen Angelegenheiten und die Bewerbungsphase wird auch erträglicher. Mit mehr Erfahrung laufen die Bewerbungen sogar besser. Aus meiner persönlichen Erfahrung und Beobachtung bei anderen dauert es ca. 2-4 Monate um ein Angebot zu bekommen. Nicht immer ist es der Traumjob, annehmen sollte man es trotzdem.

Je nach Lebensumständen zieht man aus den Wohnungen von Verwandten, Freunden oder WGs aus. Der eigene Haushalt ist sicherlich einer der wichtigsten Aspekte um glücklich und auch unabhängig zu sein. Neben dem neuen Job macht man auch im Privatleben neue Erfahrungen.

Neue Beschwerden und Probleme im Alltag

Mit der Zeit entwickelt jeder seinen eigenen Alltag und Routine. Man lernt die ungeschriebenen Regeln der Gesellschaft und versucht sich mit diesen irgendwie zu arrangieren. Hier ein paar Beispiele:

  • Zu bestimmten Uhrzeiten sollte man manche Straßen und die Bosporusbrücken meiden wegen des Verkehrsaufkommen
    In Lokalen und Restaurants wird der Tisch von Kellern stets sofort abgeräumt
    Verkehrsregeln werden eher relativ wahrgenommen und sind nicht verpflichtend
    Parken in der zweiten Reihe ist völlig normal ist, überhaupt sind die Verkehrsprobleme einer der Hauptbeschwerden in Istanbul
    Die Menschen sind weniger zuverlässig und man bekommt fast nie hundertprozentige Zusagen (beruflich wie auch privat)
    Verspätungen sollten immer einkalkuliert werden
    Wir leben hier in einer Klassengesellschaft und das erleben wir jeden Tag (manchmal sind wir privilegiert, manchmal werden wir benachteiligt)
    Frauen sitzen im Taxi immer hinten, wenn sie alleine sind
    Taxifahrer geben so gut wie nie korrektes Restgeld
    Man kann überall und fast alles mit Kreditkarte bezahlen
    Ein Sonntagsausflug kann im Stau enden , weil tausende andere die selbe Idee hatten und man sich daher nicht wirklich erholen kann beim Ausflug in den Park, an den Strand, oder zu den Prinzeninseln,...
    Kokoreç und Suppe werden morgens ab 3 Uhr nach einer langen Nacht verspeist
    Niemals sollte man Silvester nach Taksim oder Nişantaşı gehen
    Vor allem im Beruf sollten man zwischen den Zeilen lesen, da vieles nicht direkt angesprochen wird
    Teeangebote sollten nie abgelehnt werden, es sei denn man ist wirklich individuell und in einer Position wo man es sich erlauben kann
    Friseure sind fast immer Männer (auch für Frauen)
    Und noch vieles mehr...

Wenn man beruflich tätig ist und sich nach einiger Zeit eingelebt hat (oder auch nicht) gibt es mehrere Optionen was dann passieren kann. Ich glaube im Laufe der Zeit entwickeln sich dadurch mehrere Typen.

Die Flexiblen

Sie haben sich total angepasst und beschweren sich nur selten über den Alltag in der Türkei. Sind glücklich hier zu sein und haben keine Zweifel daran, dass sie Türkei jemals verlassen werden. Beruflich wie privat haben sie ihren Platz letzten Endes gefunden

Die Unsicheren

Ihnen ist es noch nicht ganz klar, ob es wirklich eine gute Idee war in die Türkei zu kommen. Obwohl sie schon sehr lange hier sind, kommen sie mit der Situation hier nicht zu recht. Sie vermissen Deutschland und reisen daher regelmäßig dorthin. Früher oder später sollte man entscheiden, ob man ein flexibler Typ ist oder irgendwann doch noch nach Deutschland zurückkehrt .

Die Rückkehrer

Es gibt eine große Gruppe die nach einigen Jahren aus verschiedenen Gründen der Türkei den Rücken kehrt. Einige lockt ein Karrieresprung, denn die Erfahrung in der Türkei hat ihnen viel gebracht. Entweder werden sie befördert oder bekommen einen Jobangebot. Die Mehrheit dieses Typs, kommt in der Türkei jedoch einfach nicht zurecht, man ist nicht flexibel genug und kann vieles nicht akzeptieren. In ihren Augen läuft einfach zu viel schief. Sie sind auch irgendwann weg und meistens auch froh wieder in Deutschland zu sein.

Ich habe schon vor meine Zeit in der Türkei an mehreren Orten gelebt (innerhalb Deutschlands und in Irland) und wusste inzwischen, dass ich mich den örtlichen Gegebenheiten anpassen kann. Wie jeder Einheimische beschwere ich mich auch über manche Dinge, die Türken hier beschweren sich manchmal sogar mehr. Aber mich stört das meiste nicht mehr, so ist das Leben hier und man muss sich damit arrangieren.

Wichtig ist es, dass man sich in dieser Phase selbst gegenüber ehrlich ist, vor allem die Unsicheren sollte nicht zu lange eine Entscheidung hinauszögern.

Auch wenn man wieder zurückkehrt, sollte man stolz auf sich sein, dass man in der Türkei gelebt hat.
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