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Leben und Arbeiten in der Türkei

#direngeziparki #occupygezi #halktv #occupyturkey #taksim

Nun hat es die türkische Regierung und vor allem Recep Tayyip Erdogan (kurz: RTE) geschafft. Seine letzten Einmischungen in die Freiheiten und Privatleben der Türken hat das Fass endgültig zum überlaufen gebracht. Was als friedliche Demonstration für einen Park in Beyoglu angefangen hat, ist zu einem nationalem Protest gegen die Regierung, allen voran RTE geworden. Wie das ausgehen wird, kann niemand sagen, aber fest steht: Nichts wird mehr so sein wie früher.
Gegen wen oder was wird demonstriert

Großartig beschreiben muss ich es nicht. Es geht um den letzten verbliebenen Stadtpark im Zentrum von Istanbul. Der Gezi Park grenzt unscheinbar direkt an den Taksimplatz in Beyoğlu. Bis 1947 stand hier eine Kaserne aus osmanischer Zeit. Diese soll wieder aufgebaut werden, und zwar genau nach der ursprünglichen Architektur des Militär-Komplexes. Offizielles Ziel ist, die Wiederbelebung des osmanischen Erbes. Aber was einmal zerstört worden ist, ist einfach weg. Ein Replik zu erstellen ist kein Beitrag zur Geschichte.

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Zunächst sollte das Gebäude der Kunst, Kultur und Geschichte dienen. Ob als Museum oder Veranstaltungsort, das weiß ich nicht genau. Dieses Ziel wurde immer mehr relativiert. Vor allem weil sich RTE immer mehr in das Projekt eingemischt hat. Der Taksimplatz befindet sich seit einiger Zeit im Umbau, wo auch RTE wohl seine Finger im Spiel hatte. Die Architektenkammer hat regelmäßig gegen die Baupläne geklagt, ohne Erfolg. Die Aussage von RTE, dass neue Gebäude würde auch Luxuswohnungen und ein Einkaufszentrum beinhalten, hat Umweltschützer endgültig auf die Straße gebracht. Denn die Aussage „würde auch...“ bedeutet nichts weiter, dass man eigentlich nur ein Einkaufszentrum und Wohnungen baut, und dafür den Park opfert. Dieses hat RTE später in einem seinen wütenden Reden bestätigt.

Die ersten Tage war der Park von Umweltschützern besetzt. Ein Sit-in hatte begonnen. Okan Bayülgen war einer der ersten Prominenten die sich beteiligt haben. In der Nacht vom 30.05.auf 31.05. hat er den Demonstranten Gedichte vorgelesen. Am frühen morgen gegen 5 Uhr Ortszeit hat die Polizei seinen Angriff auf friedliche Demonstranten mit Tränengas begonnen. Es gab keine offizielle Warnung, aber in der Nacht brodelte die Twitter-Gerüchteküche das ab 3 Uhr was passieren wird. Der erste Hashtag dazu war
#direngeziparki (und weitere Ableger wie #direnankara, #direnizmir, #direntaksim usw.)

Keine Berichtserstattung von den Medien

Die türkischen Medien sind im Besitz von Konzernen, die zumeist der AKP und RTE nahe stehen. Daher haben sie die Ereignisse zu Beginn komplett ignoriert, anschließend halbherzig berichtet und das Thema als Vandalismus und Extremismus abgetan. Allerdings war die Bewegung bereits so groß, dass sich selbst Prominente, Konzerne und Medieneinkäufer für Werbung sich von den großen Fernsehsendern und Zeitungen distanziert haben. Dazu jedoch mehr in
ie Wut der türkischen Jugend auf die Medien">einem anderen Artikel. Einziger Sender, der live übertrug ohne zu verurteilen oder zu schneiden, war Halk TV. So entstand der Hashtag #halktv.

Internationale Bekanntheit der Bewegung

Die Demonstranten haben schnell gemerkt, dass ohne internationale Aufmerksamkeit der Druck auf RTE nicht weiter erhöht werden kann. Vor allem über Twitter wurden internationale Medien schnell eingebunden. Nach einiger Zeit kamen ersten Onlineberichte z.B. von Reuters, später gab es sogar tägliche Live-Schaltungen von CNN International und anderen Medienanstalten.

Einer der ersten Reaktionen war jedoch die von Anonymous. Die internationale agierende Internetgruppe hat bereits am ersten Wochenende der Proteste die wichtigsten nationalen Webseiten lahmgelegt. Später hat Anonymous möglichst in Echtzeit von verschiedenen Brennpunkten getweetet, auf englisch und türkisch.

Was ist an den Demonstrationen anders als bei früheren?

Die wichtigsten Unterschiede sind nach meinen Beobachtungen, dass sich viele Menschen daran Beteiligen, die sich nie für Politik interessiert haben. Es sind die Besserverdienenden, die gut Gebildeten, Menschen aus der Mittel- und Oberschicht. Viele Studenten sind dabei, die ebenfalls zu den zuvor genannten gehören bzw. gehören werden.

Als zweites, es gibt keine Organisation, Gewerkschaft oder Partei die dazu aufruft. Die Menschen, egal welcher Herkunft, Konfession oder Berufsgruppe organisieren sich selbst, meist über Facebook und Twitter. Der arabische Frühling wird dabei als Vorbild genommen. Und ein zivilgesellschaftlicher Aufstand gegen die eigenen Politiker ist meiner Meinung nach eine Weltpremiere in der Türkei.

Im Augenblick verlaufen die Demonstrationen friedlich in Istanbul (bis auf den 11.06.13). Aber die Gewalt in anderen Städten ist weiter gegenwärtig. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich die Medien auf Istanbul konzentrieren und die anderen Städte derzeit nicht im Fokus liegen. Obwohl die schlimmsten Zusammenstöße in Istanbul stattfanden, werden die bisherigen Toten in Ankara und Antakya betrauert.

Die Türkei ist hoffentlich in ein neues Zeitalter eingetreten.
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