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Leben und Arbeiten in der Türkei

Die Wut der türkischen Jugend auf die Medien

Das die türkischen Medien unter staatlichem Einfluss stehen, steht schon seit geraumer Zeit fest. Dies hat sich besonders in den letzten zwei Jahren beschleunigt, als auch die letzten großen Mediengruppen von regierungsnahen Unternehmen aufgekauft wurden. Hinzu kam die sonderliche Steuerhinterziehungsaffäre gegen die Dogan Holding. Am Ende sollte sie 2,2 Milliarden Dollar zahlen. Solche Summen werden noch nicht mal von multinationalen Unternehmen verlangt, die zig mal größer sind als die Dogan Holding. Von diesem Zeitpunkt an wurde vielen klar, regierungskritische Medien sollen unterdrückt werden.

Dennoch waren die Türken von der Ignoranz der türkischen Medien gegenüber den Ereignissen geschockt. Das Ereignis war von solchen Ausmaß; mit hunderttausenden Teilnehmern, tausenden Polizisten im Einsatz, über 2.000.000 geteilte Tweets , tausende Bilder wurden hochgeladen, über 5.000 Verletzte, 3 Tote und internationale Empörung über die harte Vorgehensweise der Behörden, dennoch machten die türkischen Sender Programm nach Plan.

Das hat die jungen Leute, vor allem die unter 25 jährigen, aufgeweckt. Sie waren sich der Medienzensur in ihrem Land bislang nicht bewusst. Bei Gesprächen konnte ich die Enttäuschung deutlich hören. Inzwischen Stellen sie alle früheren Berichtserstattungen aus der Vergangenheit (PKK Terrorismus, Syrien-Konflikt, ...) in Frage: Was ist noch nicht alles berichtet worden? Welche Informationen sind vorenthalten worden? An welcher Stelle wurde manipuliert? Das Vertrauen ist endgültig zerstört und ob sich die Medien davon erholen werden, steht in den Sternen.

Schon nach wenigen Tagen marschierten tausende zum Hauptsitz des Mediensenders von NTV und demonstrierten. Über Social Media wurden Bilder geteilt. Irgendwann hatten die Verantwortlichen keine Chance mehr als aus dem Büro live durch die Fensterscheiben zu senden. Die Überschrift: „Demonstranten lassen ihre Luft raus über die Ereignisse der letzten Tage“ , obwohl die Proteste gegen sie gerichtet waren.

CNN Türk sendete eine Dokumentation über Pinguine während tausende Demonstranten mit Tränengas beschossen wurden. Die Wut darüber ist später in puren Sarkasmus übergegangen. CNN International hat nach einigen Tagen angefangen bis zu 3-mal am Tag live vom Taksim-Platz zu berichten während der türk. Ableger die Ereignisse noch immer heruntergespielt hat. CNN International hat am 11.06. Abends mehrere Stunden live von den Polizeiübergriffen am Taksimplatz berichtet. (
BBC stoppt Zusammenarbeit mit NTV)

Überhaupt, als das Thema endlich in den Medien war, wurde es nur kleingeredet, kleinen politischen Gruppen zugeordnet, von Plünderern gesprochen und die Schuld dem Alkohol gegeben. Komisch nur, dass Recep Tayyip Erdogan genauso eine Rede gehalten hatte.

Die jungen Protestler haben dann das Zepter selbst in die Hand genommen. Schnell wurden über verschiedene Dienste wie Ustream oder Livestream eigene Kanäle aufgebaut von wo aus Ereignisse live gesendet wurden. Außerdem wurde bis dahin ein kleiner und unbedeutender linksgerichteter Sender berühmt, weil es als einziger von verschiedenen Brennpunkten ohne Unterbrechung live gesendet hat. Halk TV hatte nicht nur Kameras vor Ort, sondern führte auch verschiedene Telefongespräche live im Studio mit verschiedenen Funktionären und Prominenten. Der Sender hat durch die Ereignisse seine höchsten Einschaltquoten erreicht.

Die türk. Medien haben sich selbst ins Abseits geschossen, damit auch viele Journalisten und Prominente. Die junge Bevölkerung macht über 70% der Gesamtbevölkerung aus, sie bestimmen wohin es geht mit der Türkei. In 5-10 Jahren werden wir eine ganz andere Medienlandschaft haben, denke ich.
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