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Leben und Arbeiten in der Türkei

Sind wir alle etwas „Diren Gezi Parki“-Müde geworden?

Ich musste die letzten Tage etwas Distanz zu den Demonstrationen gewinnen und habe versucht die Geschehnisse weniger zu verfolgen. Seit Beginn der Ereignisse habe ich sehr wenig und schlecht geschlafen. Die ständige Verfolgung der aktuellen Entwicklungen benötigt viel Energie und Ausdauer. Und das Alltagsleben läuft nebenher noch weiter. So wie mir geht es auch vielen anderen. Sind wir alle etwas „Diren Gezi Parki“-Müde geworden?

Egal wohin ich gehe und mit wem ich mich treffe, der Gesprächsöffner ist stets die Protestbewegung und jeder schildert seine eigenen Erfahrungen. Was mich erfreut, ist, dass alle mindestens einmal dort zum protestieren waren. Allerdings haben rund 80% der Leute die ich gesprochen habe, auch was vom Tränengas abbekommen.

Einige meinen, dass das nun genug ist mit den Protesten und alles sollte etwas normaler werden. Dabei sehe ich eine gewisse Resignation in den Gesichtern der Menschen. Die Enttäuschung ist groß. Bei mir stoßen sie aber auf Unverständnis bei dieser Aussage, da ich der Meinung bin, dass es weitergehen muss. Wir haben mehr erreicht als es zunächst zu erkennen ist. Und außerdem gehen die Demonstrationen auf eine andere Art weiter. Aber zu glauben, in wenigen Tagen kann man die Welt verändern, ist ein Irrtum. Diese zivilgesellschaftliche Auflehnung ist eine Premiere in der Türkei und keiner weiß wohin es führen wird. Aber manchmal ist der Weg das Ziel und das versuche ich meinen Gesprächspartnern deutlich zu machen.

Duran Adam

Plötzlich steht der türkische Choreograph Erdem Gündüz auf dem Taksim-Platz und starrt das riesige Atatürk-Poster auf dem AKM-Gebäude an. Erst nach Stunden wird er bemerkt und bekommt anschließend Gesellschaft. Die Polizei ist baff und weiß zunächst nicht wie sie reagieren sollen. Gündüz’ Taschen werden durchsucht ohne das er sich regt, er wird von Journalisten angesprochen, reagiert jedoch nicht. Am Abend des 17.06. stehen bei ihm dann hunderte so wie er schweigsam. Dann greift die Polizei durch und verhaftet einige von ihnen. Aber Gündüz möchte mindestens 3 Monate dort stehen. Nur für drei Stunden am Tag wird er von Freunden ersetzt, um sich auszuruhen.

Inzwischen gibt es überall in der Türkei Nachahmer und Erdem Gündüz ist ein Gesicht des friedlichen Protestes geworden.

Überall ist Gezi Park

Der Gezi Park ist seit der Räumung gesperrt, aber Istanbul bietet noch mehr Parks an. So hat
Taksim Dayanışma angefangen, treffen in verschiedenen Parks zu organisieren. Jeden (Hier fehlt was, ich denke mal der Tag?!) trifft man sich. Es gibt ein Forum wo jeder seine Meinung zu allem sagen kann, jeder hört zu und kommentiert das Thema. Hier gibt es auch keine Polizei oder Randalierer, so kann sich die Bewegung gut und gesund weiterentwickeln, denk ich.

Demonstration mit Nelken auf dem Taksim-Platz

Nach der letzten endgültigen Räumung kamen am 22.06. die Demonstranten das Erste mal wieder nach Taksim. Über 10.000 sind dem Aufruf nachgekommen um 19:00 mit einer Nelke als Gedenken an die 5 Toten mitzubringen (4 Demonstranten und ein Polizist). Nach rund 1,5 Stunden hat die Polizei mal wieder eingegriffen: Mit den üblichen Werkzeugen Wasserwerfer und Tränengas. Das Wasser enthielt anscheinend wieder Chemikalien, welches auf der Haut sofort zu Brandverletzungen führt. Diesmal ist deutlich weniger Tränengas benutzt worden, weil die Gerüchte besagen, dass der Nachschub fehlt. Die Regierung kauft auf dem internationalen Markt über 100.000 Patronen ein. Die Demonstranten wurden auf die Istiklal Caddesi und seine Nebenstraßen, sowie nach Sıraselviler und Cihangir verjagt. Die Jagd dauerte bis in die Nacht hinein. Ich war an dem Abend zufällig in Asmalımescit (3-4 km südlich vom Taksim-Platz), ab 22 Uhr kam das Gas zu uns und wir konnten uns nicht mehr draußen aufhalten.

Die Proteste gehen weiter und müde sind wir auch nicht geworden. Die Protestformen haben sich vielleicht geändert, aber die Bewegung ist weiter aktiv. Solange die Politik die Demonstranten nicht versteht, wird auch es auch kaum enden.
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