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Leben und Arbeiten in der Türkei

Die Türkei wird die Kapitalflucht nicht so leicht stoppen können

Am 28.01.14 abends hat die türkische Zentralbank beschlossen den Leitzins von 4,5% auf 10% zu erhöhen. Dies ist eine extreme Entwicklung, wenn man bedenkt, dass diese Zinsen meist im Bereich 0,25%-0,75% verändert werden. In der Finanzwelt wird so was auch gerne auch als Bazooka bezeichnet. Allerdings ist die Wirkung nach wenigen Stunden wieder verpufft, obwohl nach der Zinsentscheidung der USD und der EUR stark gefallen sind gegenüber der TL.

Der EUR war bis auf 3,25TL gestiegen, nach der Zinsentscheidung fiel es kurzfristig auf 2,97 und am Ende des Tages (29.01.) lag es irgendwo bei 3,08TL. Gegenüber dem USD war die Entwicklung ähnlich. Insgesamt hat die Türkische Lira 20% an Wert innerhalb von drei Monaten verloren.

Die Zentralbank hat quasi panikartig hier reagiert. Dafür existieren mehrere Zeichen. Zunächst wurde die Entscheidung in einer schnell anberaumten Sondersitzung getroffen (dies ist äußerst selten der Fall), außerdem ist die Entscheidung extrem ausgefallen (von 4,5% auf 10% beim Leitzins) und es wurde gegen die Meinung des Ministerpräsidenten Erdogan entschieden.

Niedrige Zinsen waren Wachstumstreiber

Noch eine Woche vorher hat die Zentralbank versprochen die Zinsen auf dem aktuellen Niveau zu halten, Erdogan hat sich ebenfalls dafür ausgesprochen. Das Risiko bei einer Zinserhöhung für den Ministerpräsident ist, dass sonst das Wirtschaftswachstum abgewürgt wird. Niedrige Zinsen bedeuten, dass Kredite billiger sind und somit der Konsum und Investitionen angekurbelt werden. Und die Türkei hat jahrelang davon gut gelebt. Die größte Gefahr bei niedrigen Zinsen liegt in einer hohen Inflation. Da viel ausgegeben und wenig gespart wird, erhöhen die Unternehmen ihre Preise schneller.

Ende Dezember lag die Inflationsrate bei 7,4%, dies ist deutlich höher als die angestrebten 5%. Mit dem Verfall der türkischen Währung verliert auch die Zentralbank ihre Glaubwürdigkeit, international wie auch in der Türkei. Die Zinsentscheidung war notwendig, allerdings zu spät und zu drastisch dafür. Die türkischen Unternehmen sind kalt erwischt worden und müssen nun viel vorsichtiger agieren. Ohnehin haben sie weitere Schwierigkeiten durch den Währungsverfall bekommen.

Warum ziehen ausländische Investoren Kapital aus der Türkei ab?

Zunächst mal ist das kein reines Türkei-Problem. Schwellenländer wie Brasilien, Indien, Südafrika und Thailand haben ähnliche Probleme wie die Türkei. Neben den wirtschaftlichen und politischen Problemen kommt hinzu, dass es danach aussieht das in den USA und in der EU die Wirtschaft wieder stärker wird. Das bedeutet, diese Regionen werden wieder attraktiver für Investoren. Mit steigender Sicherheit in den westlichen Industrieländern werden auch die Zinsen wieder steigen. Somit transferieren die Investoren ihr Kapital von den Schwellenländern in die Industrieländer wieder zurück (während der Finanzkrise war es eben umgekehrt).

Die amerikanische Zentralbank (FED) hat dies bereits angedeutet und ihre monatlichen
Aufkäufe von langfristigen Staatslanleihen und Immobilienpapieren um 10 Mrd. USD auf 65 Mrd. USD gesenkt (die FED druckt Geld und gibt es der Wirtschaft auf diese Art, damit der Staat und Unternehmen investieren und die Konjuktur sich besser entwickelt). Diese Entscheidung kam am 29.01. und die Senkung wird wahrscheinlich fortgesetzt werden. Vieles von diesem Geld seit 2009 ist in Schwellenländer geflossen. Die Senkung und Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik hat sich bereits im Sommer 2013 angedeutet, man musste also schon darauf vorbereitet sein. Die FED ist allein den USA verpflichtet und interessiert sich weniger auf die globalen Auswirkungen.

210 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden

Während der türkische Staat finanziell solide steht, haben sich türkische Unternehmen auf 33% der Wirtschaftsleistung des Landes im Ausland verschuldet. Da diese Schulden in fremder Währung laufen, haben sie enorme Finanzprobleme auf den Schultern im Augenblick. Da die türkische Lira um 20 Prozent abwertet hat, nimmt die Schuldenlast der Unternehmen in fremder Währung automatisch in derselben Größenordnung zu.

Obwohl der Staat gut wirtschaftet und wenig schulden hat, kann es schnell Probleme bekommen. Die Situation ähnelt sehr der Lage von Portugal und Spanien vor der Finanzkrise. Auch dort war der Privatsektor stark verschuldet, während die Staaten die Maastrichter EURO-Kriterien erfüllten.

Was soll die Zinserhöhung bringen

Höhere Zinsen sollen erst mal Kapital anziehen, vor allem aus dem Ausland, was gerade abgesaugt wird. In der Türkei angelegtes Geld bringt gute Zinseinnahmen (zurzeit der Dritthöchste Leitzins weltweit). Das würde automatische die Lira stärken, weil sie wieder stärker gefragt wäre. Allerdings steigen auch die Finanzierungskosten vom Staat und Privatunternehmen. Vor allem der Staat muss einen größeren Teil seines Budget für Zinszahlungen einplanen.

Weitere Entwicklung hängt von der Konjunktur ab, diese muss stark sein und die Probleme abzufedern. Aber wie schon gesagt, höhere Zinsen sind Gift für das Wachstum. Wenn es nun zur Rezession kommt, dann kann Erdogan getrost die Zentralbank beschuldigen und seine eigenen Hände in Unschuld waschen. Er hat immer für niedrige Zinsen plädiert.

Reformen sind gefragt

Die Regierung hat jetzt die Aufgabe das Vertrauen der internationalen Investoren zu gewinnen, die Zentralbank alleine wird das nicht schaffen. Wichtige strukturelle Probleme müssen durch Reformen gelöst werden. Die letzten Jahre ist in der Hinsicht kaum was passiert. Stattdessen kommt es zu den
Gezi Park Protesten, Korruptionsaffäre und einem Machtkampf innerhalb der AKP Partei und Regierung. Man ist mehr mit sich selber beschäftigt, als mit den wichtigen Problemen im Land.

Solange diese politische Unsicherheit herrscht, wird es mittelfristig zur weiteren Konjukturabkühlung kommen. Man kann nur hoffen, dass man nicht am Ende noch unter einen IWF-Rettungsschirm muss.
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