Scuvol Blog

Leben und Arbeiten in der Türkei

Die Taksim-Ereignisse in der Nacht vom 15.Juni

RTE hat die Demonstranten gewarnt, dass man den Gezi-Park bis Sonntag räumen sollte. Ansonsten wüsste die Polizei was zu tun ist, so RTE. RTE war aber anscheinend nicht so geduldig und hat die Räumung bereits am Samstag gegen 19Uhr starten lassen. Kurz nach einer Vorwarnung der Polizei wurde der Park völlig unerwartet gestürmt.

Vermisste Kinder


Da die Bevölkerung den Worten von RTE vertraut hatte, waren viele Familien mit Kleinkindern im Park. Einige konnten sich in Sicherheit bringen, aber viele Kinder haben ihre Eltern in dem Chaos aus Lärm, Tränengas, Wasserwerfer und Panik verloren. Über Twitter wurden diese Infos schnell geteilt. Schnell wurde das Divan Hotel hinter dem Gezi-Park Anlaufstelle für vermisste Kinder.

Das Divan Hotel wird zum Schutzbunker der Demonstranten

Überhaupt hat sich das Divan Hotel und Besitzer Ali Koc (von der Koc Holding) in den letzten Wochen als Beschützer der Demonstranten etabliert. Auch diesmal sind viele in das Hotel gestürmt um Schutz zu suchen. Im Gegensatz zu einigen Aussagen von Politikern dieser Tage kann man dem Personal des Hotels vertrauen.

Diesmal jedoch wollte die Polizei das Hotel stürmen. Ali Koc hat sich persönlich eingeschaltet und hat dies unterbunden. Eine Stürmung wäre auch rechtlich problematisch gewesen, wobei dies zunächst zweitrangig ist. Vielmehr hat Koc die Beziehungen spielen lassen, denke ich.

Claudio Roth (Die Grünen) war eine der Sit-in Demonstranten seit kurzem. Auch sie ist in das Hotel geflohen.

Erlebnisbericht einer Freundin

Eine Freundin von mir hat die Nacht im Divan Hotel verbracht. Ihre Erzählungen waren unglaublich. Die Polizei hatte anscheinend nicht nur das Ziel die Versammlung aufzulösen. Es wurde vielmehr versucht maximale Verletzungen an den Menschen zu verursachen. Das mit Gaskanonen direkt auf Menschen gezielt wird, mit Gummikugeln geschossen wird und Wasserwerfer eingesetzt werden, waren wir schon gewohnt. Die neue Taktik ging noch weiter. Die Erzählungen wurden von vielen Tweets in der Nacht bestätigt.

  1. Die Polizei hat anscheinend die Wassertanks der Wasserwerfer mit Chemikalien versetzt. Das Sprühwasser hatte eine weiße Färbung. Bei Körperkontakt gibt es Verbrennungen auf der Haut und entsprechend schlimme Schmerzen. Bestätigt ist dies nicht.
    2 Polizisten haben Atemschutzmasken und ähnliches beschlagnahmt. Nachdem alles benebelt war vom Tränengas wurden die Masken den Menschen aus dem Gesicht entrissen. Meine Freundin saß in einem Café als die Polizei kam. Allen Gästen wurden die Masken abgenommen und anschließend wurden sie rausgeschmissen, trotz des Tränengases überall. Sie flohen wieder zurück ins Divan Hotel.
    3 Die Militärpolizei war anscheinend diesmal an der Seite der Polizei. Auf Twitter kursierten Bilder und Nachrichten davon. Das ist deshalb heikel, weil laut der Verfassung die Militärpolizei gar keine Befugnisse hat. Und außerdem bedeutet dies, dass das Militär inzwischen ein Teil der ganzen Kämpfe wird.
    4 Diesmal hat die Polizei gemeinsam mit der Militärpolizei das Hotel belagert, früher sind sie abgezogen. Jeder der das Hotel verlassen wollte, hätte sofort verhaftet werden sollen. Meine Freundin war die ganze Nacht dort.

Ich saß in Galata fest

Ich war am späten Nachmittag in der Tanzschule für Proben als die Polizei den Angriff gestartet hat. Wir waren alle völlig überrumpelt von der Aktion. An dem Abend war noch ein Tanzabend geplant, das dann doch sehr kurz dauerte. Da nach den ganzen Aktionen tausende Menschen überall in Istanbul auf die Straße gegangen sind und Richtung Taksim marschieren wollten, wurden viele Straßen gesperrt. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel arbeiteten nicht mehr.

Außerdem hat die Polizei seinen Aktionsradius stark erweitert und konzentrierte sich nicht mehr nur auf Taksim. Ziel war es wahrscheinlich, die verschiedenen Demos nicht zu einer großen zusammenwachsen zu lassen. Die Polizei hat seine Angriffe auf der Istiklal Caddesi, Elmadag, Harbiye, Osmanbey, Nisantasi, Sisli und Mecidiyeköy fortgesetzt. Auf der asiatischen Seite wurde die Bosporusbrücke von Polizisten besetzt. Die Demonstranten marschierten aus Kadiköy, Maltepe und Kartal.

Somit saßen wir in unmittelbarer Nähe zum Galata-Turm fest. Bei uns war es Gott sei Dank ruhig. Wir alle haben uns über Twitter, Facebook und Freunde auf dem Laufenden gehalten. Wer konnte, fuhr nach Hause. Irgendwann zwischen 3:00-3:30 sind auch wir als eine kleine Gruppe in ein Taxi gestiegen. Wichtig war es nicht alleine unterwegs zu sein. 5-10 Leute sind in der Tanzschule geblieben.

Am Sonntag werden wir den nächsten Höhepunkt der Demonstrationen haben. Am 16.06. marschieren diesmal auch AKP-Anhänger. Doch diese werden von den Kommunen, öffentlichen Verkehrsmitteln usw. unterstützt. Es wird seit Tagen dafür geworben. Tränengasangriffe müssen diese nicht fürchten.

*Meine Berichte beruhen auf persönlichen Beobachtungen, Twitter und Facebook postings, wo ich vorsichtig agiere und auch nicht alles glaube und Erzählungen aus Bekanntenkreisen sowie einiger TV Programme (z.B. Ulusal Kanal, Halk TV, CNN International und Livestreams von Demonstranten via Ustream oder Livestream)
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